Zentralklinik

Seit 2013 betreibt der Landkreis Aurich das Vorhaben, zusammen mit der Stadt Emden eine Zentralklinik in Georgsheil zu errichten und dafür die Krankenhäuser in Norden, Aurich und Emden zu schließen. In den Medien standen anfangs insbesondere der damalige Auricher Landrat Harm-Uwe Weber und der damalige Emder Oberbürgermeister Bernd Bornemann für diese Pläne. Im Verlauf wurde und wird das Projekt im Landkreis Aurich insbesondere durch die große Koalition aus SPD und CDU im Kreistag vorangetrieben.

Im Vordergrund stand von Anfang an, dass die hohen von den Kommunen getragenen Verluste durch den Betrieb der derzeit bestehenden Krankenhäuser reduziert werden sollten.

Von Anfang an wurden dabei aus meiner Sicht insbesondere 2 Fehler gemacht:

  • Es wurden nicht ernsthaft Argumente abgewogen. Es gab keine ernsthafte Diskussion über Vor- und Nachteile des Vorhabens. Stattdessen gab es Werbeveranstaltungen und es wurde und wird versucht, auch konstruktive Kritiker mundtot zu machen. Einen Erhalt der bestehenden Krankenhäuser in Erwägung zu ziehen, wird seit 2013 von den Verantwortlichen kategorisch abgelehnt.
  • Es wurde unzureichend daran gedacht, wie die Gesundheitsversorgung in Zukunft im Landkreis Aurich und der Stadt Emden aussehen soll. So werden durch den Betrieb einer Zentralklinik auf der grünen Wiese und die Schließung der 3 Krankenhäuser in den Städten hochwahrscheinlich Kollateralschäden in der Gesundheitsversorgung entstehen, die erheblich sind und für deren Handhabung es offensichtlich keine Konzepte gibt.

Im Folgenden liste ich eine Sammlung und kurze Erläuterung der mir bekannten Argumente auf, dabei fange ich mit Argumenten an, die noch nicht so sehr in der Diskussion standen:

Notfallversorgung (insbesondere auch die ambulante Notfallversorgung)

Die ambulante Versorgung von Patienten außerhalb der Praxisöffnungszeiten, also insbesondere nachts und am Wochenende, sowie bei Notfällen an 24 Stunden 7 Tage die Woche steht derzeit auf 3 Säulen, die in allen 3 Städten bestehen:

  • die Ambulanzen der Krankenhäuser, z.B. die Chirurgischen Ambulanzen, die auch die ambulante Versorgung von Wunden und das ambulante Diagnostizieren bzw. Ausschließen von Knochenbrüchen und die entsprechende Versorgung der Frakturen übernehmen.
  • den Hausärztlichen Vertretungsdienst, der derzeit als
    • Sitzdienst in den Bereitschaftsdienst-Praxen in den Krankenhäusern der 3 Städte stattfindet und als
    • Fahrdienst, der Hausbesuche macht bei Patienten die aus gesundheitlichen Gründen (z.B. Bettlägerigkeit) nicht selbst in die Praxis im Krankenhaus kommen können.
  • den Rettungsdienst mit Krankenwagen bzw. Rettungswagen (in jeder der Städte und an weiteren Standorten) und Notarzt (in jeder der Städte einer).

Sobald in Georgsheil eine Zentralklinik steht und die Krankenhäuser in Norden, Aurich und Emden nicht mehr existieren, werden voraussichtlich:

  • von den Krankenhäusern in Norden, Emden und Aurich keine Reste betrieben werden.
    • -die Medizinischen Versorgungszentren, die der Landkreis betreibt, schaffen es während der normalen Praxisöffnungszeiten nur mit Abstrichen, die Bevölkerung adäquat zu versorgen (zumindest in Norden). Es ist nicht absehbar, dass aus diesen MVZ des Landkreises Nacht- und Wochenenddienste besetzt werden könnten.
    • die Zentralklinik in Georgsheil wird in Zeiten des Ärztemangels sowieso schon Schwierigkeiten haben, alle Stellen zu besetzen. Falls diese Zentralklinik durchgehend besetzte Portalkliniken in Aurich, Norden und Emden betreiben müsste, würden die Arbeitsplätze für Ärzte wegen der extrem hohen Dienstbelastung kaum besetzt werden können. Die Ärzte würden sich in vielen Fällen für andere Krankenhäuser entscheiden.
  • die Bereitschaftsdienstpraxen unter Trägerschaft der Kassenärztlichen Vereinigung sind derzeit in Emden, Aurich und Norden im Krankenhaus angesiedelt. Das ist sinnvoll, weil die Praxis im Bedarfsfall Ressourcen des Krankenhauses (z.B. Röntgen, Labor) nutzen kann und bei Bedarf eine Einweisung ins Krankenhaus einfach zu bewerkstelligen ist. Derzeit ist vom Gesundheitsministerium geplant, die Bereitschaftsdienstpraxen bundesweit in Integrierte Notfallzentren aufgehen zu lassen, die an Krankenhäusern angesiedelt sind. Die Folge wäre, dass sich die Bereitschaftsdienstpraxis im Krankenhaus in Georgsheil befindet. In den Städten Aurich, Emden und Norden wird es dann keine hausärztliche Bereitschaftsdienstpraxis mehr geben.               Der Fahrdienst wird voraussichtlich weiterhin bei nicht transportfähigen Patienten (also z.B. Heimbewohnern) Hausbesuche machen.
  • der Rettungsdienst wird voraussichtlich ähnlich weiterarbeiten wie bisher. Jedoch wird es schwieriger werden, die Notarztdienste zu besetzen: derzeit wird der Notarzt in der Woche tagsüber regelmäßig von den Krankenhäusern in der jeweiligen Stadt besetzt, das heißt, dass Ärzte, die im Krankenhaus arbeiten, während der Krankenhausarbeit einen Funkrufempfänger mit sich tragen und bei einem Notfall direkt am Krankenhaus in den Notarztwagen steigen. Nachts und am Wochenende arbeiten Ärzte freiberuflich als Notarzt. Eine Zentralklinik in Georgsheil kann für die 3 Städte keinen Notarztwagen besetzen, allein schon, weil die Entfernung zu groß ist. Deshalb wird man mehr freiberufliche Ärzte für die Dienste akquirieren müssen und das in Zeiten des zunehmenden Ärztemangels.

Eine Notfallversorgung wird also voraussichtlich – bis auf den Rettungsdienst und den Fahrdienst des hausärztlichen Bereitschaftsdienstes – nur noch in Georgsheil stattfinden.

Im Landkreis Schaumburg (dort hat der Sprecher der Zentralklinikum-Trägergesellschaft vorher gewirkt) ist das jetzt schon so. Auf meine Nachfragen im Kreistag Aurich konnte bisher weder von den verantwortlichen Parteien, noch von der Kreisverwaltung oder der Geschäftsführung der Trägergesellschaft ein Konzept für eine Notfallversorgung vorgelegt werden.

Krisensituationen

In Krisensituationen ist es wichtig, mehrere Krankenhäuser und diese möglichst nahe an den Bevölkerungsschwerpunkten zu haben. Es ist dann falsch, sich auf nur eine Klinik auf der grünen Wiese zu konzentrieren. Mit einer Zentralklinik in Georgsheil sind

  1. die Wege zum Krankenhaus für die meisten Menschen weiter als zuvor und
  2. es gibt in der Nähe keine anderen Krankenhäuser, die einspringen können, wenn es zu einem Ausfall eines Krankenhauses kommt.

Für solche Krisensituationen hier einige Beispiele, von denen viele in den letzten 100 Jahren hier vorgekommen sind. Bitte spielen Sie selbst durch, ob eine Zentralklinik oder 3 Krankenhäuser in den Städten Norden, Emden und Aurich in einer dieser Krisen sinnvoller sind.

Krisen-Beispiele:

  • Pandemie, wie jetzt mit dem Corona-Virus. (Das Humboldt-Klinikum in Berlin-Reinickendorf  ist beispielsweise am 23.01. bis 03.02.21 (= ca. 2 Wochen) für Neuaufnahmen geschlossen und unter Quarantäne gestellt worden, weil eine relevante Anzahl Patienten und Mitarbeiter mit einer Mutation des Corona-Virus infiziert war. Eine ähnliche Situation hat es auch in mehreren anderen Krankenhäusern gegeben, z.B. im Krankenhaus in Wittmund)
  • Problemkeim z.B. auf der Intensivstation (z.B. MRSA), der dazu führt, dass die Intensivstation geschlossen werden muss.
  • Brand im Krankenhaus (wie im Juli 2020 in einem Zimmer der Psychiatrie im Krankenhaus Norden. Dort hatte es am 6.7.20 in nur 1 Zimmer gebrannt, erst am 1.8. konnten 16 der 25 Betten auf der Station wieder belegt werden).
  • Computerausfall (wie im September 2020 in der Uniklinik Düsseldorf nach einem Hacker-Angriff).
  • Konkurs des Betreibers (insbesondere falls es zu einer Privatisierung kommt; solche Probleme gab es z.B. in Peine).
  • Schneekatastrophe (wie im Winter 1978/79 hier in Norddeutschland).
  • Energiekrise / Ölkrise wie in den 1970-er Jahren.
  • Kriegshandlungen.
  • soziale Verwerfungen, die z.B. dazu führen, dass Autofahren nicht mehr so selbstverständlich ist wie heute.

Facharztpraxen in den Städten Aurich, Norden und Emden

Es gibt derzeit bereits erhebliche Probleme, freiwerdende Sitze von Fach- und Hausärzten zu besetzen. Beispielsweise ist in den letzten Jahren die Menge der HNO (Hals-Nasen-Ohren) -Ärzte in Norden von 2 auf 1 und in Emden von 4 auf 2 geschrumpft. Die Kassensitze sind frei, können jedoch nicht besetzt werden. Es gibt insbesondere 4 Facharzt-Disziplinen, die häufig Belegbetten in Krankenhäusern haben oder dort ambulant operieren. Diese Fachrichtungen sind: Urologie, Orthopädie, HNO und Augenheilkunde.

Für diese Fachärzte ist es sinnvoll, die Praxis in Krankenhaus-Nähe zu haben, weil dann die Wege auch bei Notfällen, wie z.B. Nachblutungen, kürzer sind.

Falls eine Zentralklinik in Georgsheil die Krankenhäuser in Aurich, Emden und Norden ersetzt, wird es voraussichtlich fast unmöglich werden, Ärzte dieser Fachrichtung zu einer Niederlassung in Aurich, Emden oder Norden zu bewegen. Eher lassen sie sich in Georgsheil nieder, wahrscheinlich gehen sie jedoch in Städte wie Wittmund, Westerstede oder Leer, in denen Stadt und Krankenhaus beieinander liegen.

 

Kommentare sind geschlossen.